H+ Bundeshaus 4/2024

Editorial

von Regine Sauter
Ambulante Tarife

Neuer ambulanter Tarif auf der Zielgeraden

von Anne-Geneviève Bütikofer
Kosten

Doppelspurigkeiten vermeiden

von Stefan Berger
Laboranalysen

Wie weiter bei den Labortarifen?

von Stefan Berger
Notfallmedizin

Notfallstationen wirksam entlasten

von Martina Greiter

Editorial

Am 24. November hat die Stimmbevölkerung die einheitliche Finanzierung angenommen – diese wichtige Reform kann nach 15 Jahren im politischen Prozess nun endlich umgesetzt werden.

Das klare Ja zu dieser Vorlage ist aus mehreren Gründen bedeutend. Zum einen wird damit die dringend nötige Verlagerung vom stationären in den ambulanten Bereich vorangetrieben, was auch das Kostenwachstum dämpfen wird. Gewichtige Fehlanreize werden beseitigt und unser Gesundheitswesen wird fit für die Zukunft gemacht. 

Zum anderen kommt der Zustimmung aber auch eine wichtige symbolische Bedeutung zu: Die Bevölkerung konnte von einer umfassenden Reform im Gesundheitswesen überzeugt werden. Das ist ein nicht zu unterschätzender Erfolg der breiten Allianz für diese Reform, der zeigt, dass auch in der Gesundheitspolitik Schritte nach vorne möglich sind.

Die einheitliche Finanzierung schafft in Verbindung mit dem neuen ambulanten Tarifsystem eine Möglichkeit, die finanziell prekäre Situation der Spitäler nachhaltig zu verbessern. Jetzt kann der Druck auf die ambulanten Tarife gelöst und der Weg zu einer kostendeckenden Tarifierung geebnet werden, ohne dass die Prämienlast für die Versicherten steigt. H+ fordert die Politik und die Tarifpartner auf, diese Chance zu nutzen, so dass die Spitäler weiterhin ihren Beitrag zu einer hochstehenden medizinischen Versorgung leisten können.

Regine  Sauter

Regine Sauter

Präsidentin, Nationalrätin

Ambulante Tarife

Neuer ambulanter Tarif auf der Zielgeraden

Die Tarifpartner haben es in den letzten Monaten geschafft, sich auch dank der grossen Kompromissbereitschaft von H+ auf eine neue ambulante Gesamt-Tarifstruktur zu einigen. Diese erfüllt die Vorgaben des Bundesrates. Den Durchbruch brachte der konsensorientierte Ansatz von H+.  

Am 19. Juni 2024 richtete der Bundesrat klare Worte an die Tarifpartner: Er genehmigte sowohl Teile des neuen ambulanten Einzelleistungstarifs TARDOC sowie einen Teil der von H+ und santésuisse erarbeiteten ambulanten Pauschalen. Weiter beauftragte er die Tarifpartner unter der Federführung der Organisation Ambulante Arzttarife OAAT AG bis im November 2024 eine neue ambulante Gesamt-Tarifstruktur aus Pauschalen und TARDOC dem Bundesrat zur Genehmigung einzureichen. Diese Einreichung erfolgte am 5. November – ein wichtiger Schritt, um den veralteten und unsachgemässen TARMED abzulösen. Dadurch eröffnet sich den Spitälern und Kliniken der Weg, die Unterfinanzierung im ambulanten Bereich von gegen 30 Prozent schrittweise zu beheben. 

Mit der neuen ambulanten Tarifstruktur ist zudem die Motion Germann (24.4067) obsolet, welche eine Überarbeitung der vorliegenden ambulanten Pauschalen in enger Kooperation mit den medizinischen Fachgesellschaften fordert. Diese wird im Rahmen der Weiterentwicklung und Verbesserung des Tarifsystems unter der Federführung der OAAT AG sichergestellt. 

Grosse Kompromissbereitschaft von H+
Dieser Meilenstein war nur dank des konsensorientierten Ansatzes und damit einer grossen Kompromissbereitschaft von H+ möglich. So stimmte H+ zu, den Anwendungsbereich der ambulanten Pauschalen nochmals zu reduzieren, auf insgesamt 17 Prozent aller anrechenbarer Leistungen. Davon entfallen 10 Prozent auf den niedergelassenen und 28 Prozent auf den spitalambulanten Bereich. Dies stellt aus Sicht von H+ das absolute Minimum dar. Ebenso hat H+ zugestimmt, den Anwendungsbereich der ambulanten Pauschalen in den ersten drei Anwendungsjahren nicht auszuweiten und keine neuen Pauschalen zu entwickeln, wodurch die dynamische Kostenneutralität nicht wie geplant innert drei Jahren aufgehoben werden kann. 

Die Spitäler und Kliniken haben mit dieser grossen Kompromissbereitschaft der Ärzteschaft und den medizinischen Fachgesellschaften die Hand gereicht und weitere Verzögerungen bei der Einführung des neuen Tarifsystems verhindert. Der Weg ist nun frei für eine rasche Finalisierung des neuen datengeschützten und entwicklungsfähigen ambulanten Tarifsystems.

Im Gegenzug erwartet H+ in den nächsten Jahren sowohl von den Tarifpartnern als auch vom Bundesrat die klare Zusage für eine rasche Weiterentwicklung der Tarifstrukturen. Insbesondere auch zur Behebung der zahlreichen Schwächen im TARDOC sind eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der ambulanten Pauschalen nach drei Jahren sowie die Aufhebung der dynamischen Kostenneutralität gemäss aktueller Roadmap per Januar 2030 notwendig.

Vorteile des neuen Gesamt-Tarifsystems
Die Einführung des neuen ambulanten Gesamt-Tarifsystems bringt folgende Vorteile für die Spitäler und Kliniken: weniger administrativen Aufwand und die explizite Möglichkeit, Preisverhandlungen auch während der Kostenneutralitätsphase zu führen. Damit wird es für die Spitäler und Kliniken möglich, die Unterfinanzierung im ambulanten Bereich schrittweise zu beheben.

Weiter werden mit der Einführung der ersten Pauschalen im neuen ambulanten Tarifsystem die Transparenzforderungen des Parlaments erfüllt. So kann sich das Tarifsystem durch aktuelle Kosten- und Leistungsdaten der Spitäler und Kliniken jährlich weiterentwickeln, so wie wir dies im stationären Bereich von SwissDRG kennen.

Damit die Transparenz und die Weiterentwicklung des neuen ambulanten Tarifsystems von allen Leistungserbringern umgesetzt werden können, müssen vor allem die niedergelassenen Ärzte die Grundlagen für Datenlieferungen schaffen und diese zwingend umsetzen. Nur so kann das System aktuell gehalten und ausgewogen weiterentwickelt werden. 

Kosten

Doppelspurigkeiten vermeiden

Die Massnahmen des zweiten Kostendämpfungspakets sind aus Sicht von H+ grundsätzlich sinnvoll, mit Ausnahme der Schaffung überflüssiger «Netzwerke zur koordinierten Versorgung».

Um die medizinische Versorgung zu verbessern und das Kostenwachstum in der Grundversicherung zu bremsen, schlägt der Bundesrat im zweiten Kostendämpfungspaket (22.062) unter anderem vor, den neuen Leistungserbringer «Netzwerke zur koordinierten Versorgung» zu schaffen. 

Breite Allianz lehnt neuen Leistungserbringer ab
Leistungserbringende, Versicherer, Apotheken, Gesundheitsfachpersonen und Konsumentinnen und Konsumenten sind unisono der Auffassung, dass ein weiterer Leistungserbringer nicht geeignet ist, die Koordination der Versorgung zu verbessern, geschweige denn eine kostendämpfende Wirkung zu erzielen. Er würde im Gegenteil Doppelspurigkeiten erzeugen und der Mengenausweitung Tür und Tor öffnen. 

Mit gutem Grund folgte der Nationalrat in der Herbstsession 2023 der Empfehlung dieser Allianz und strich den neuen Leistungserbringer aus dem Gesetzesentwurf. Leider beschloss der Ständerat in der Sommersession 2024, die «Netzwerke» wieder in die Vorlage zu integrieren, weshalb sich die grosse Kammer erneut mit dieser Frage befassen muss.

Bewährtes nicht ändern
Es bleibt zu hoffen, dass der Nationalrat an seinem Entscheid festhält. Denn die heute existierenden Netzwerke sind eine Erfolgsgeschichte. Immer mehr Versicherte treten einem Netzwerk bei. Den bewährten «Bottom-up»-Prozess gilt es mit geeigneten Anreizen weiter zu fördern, namentlich mit der konsequenten Umsetzung der KVG-Revision zur einheitlichen Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen (EFAS), die das Stimmvolk am 24. November angenommen hat

Stefan  Berger

Stefan Berger

Fachverantwortlicher Gesundheitspolitik

Laboranalysen

Wie weiter bei den Labortarifen?

Die Tarife bei Laboranalysen sollen neu durch die Tarifpartner ausgehandelt werden. Ohne klare Leitplanken und belastbare Daten wird das aber nicht funktionieren.

Das Parlament hat den Bundesrat beauftragt, die Tariffestsetzung bei Laboranalysen zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung anzupassen. Künftig sollen diese Tarife nicht mehr vom Bund festgesetzt, sondern zwischen den Tarifpartnern ausgehandelt werden (24.037 BRG. KVG (Tarife der Analysenliste). Änderung).

H+ lehnt einen solchen Wechsel vom Amtstarif zum Vertragstarif ab. Die Gefahr von Blockaden aufgrund der Vielzahl beteiligter Akteure und – als Folge davon – von tariflosen Zuständen ist gross. Auch die aktuell fehlende Datenbasis spricht gegen einen solchen Wechsel.

Der Ständerat ist in der Herbstsession 2024 diesen Argumenten gefolgt und hat Nichteintreten beschlossen. In der Wintersession kann der Nationalrat nun nachziehen. Sollte er trotz der genannten Bedenken die KVG-Revision annehmen, fordert H+, die Übergangsbestimmungen wie folgt festzulegen:

  • angemessene Übergangsfrist von mindestens fünf Jahren,
  • Anerkennung der Mehrkosten, die während der Übergangsphase anfallen, einschliesslich der Teuerung und Lohnentwicklung und
  • dass kostendeckende Tarife und eine belastbare Datengrundlage die Basis für einen eventuellen Verhandlungstarif bilden. 

In jedem Fall ist für H+ zentral, dass die teilweise Lockerung des Vertragszwangs für die Krankenversicherer, die die SGK-N in die Vorlage eingebaut hat, vom Plenum wieder gestrichen wird.

Stefan  Berger

Stefan Berger

Fachverantwortlicher Gesundheitspolitik

Notfallmedizin

Notfallstationen wirksam entlasten

Falls infolge eines Bundesgerichtsurteils Permanencen schliessen müssen, würde der Patientenansturm auf die Notfallstationen der Spitäler wohl noch steigen. H+ lehnt aber die Pa.Iv. 17.480 ab, welche Notfallstationen von Bagatellfällen entlasten möchte.

Das Bundesgericht hat entschieden, dass Notfallpraxen und Permanencen keine zusätzlichen Gebühren mehr für abendliche medizinische Behandlungen verrechnen dürfen. Ausnahme: Die Konsultation findet ausserhalb der regulären Öffnungszeiten statt. H+ gibt zu bedenken, dass die Permanencen einen beträchtlichen Beitrag zur Gesundheitsversorgung leisten, speziell zu Randzeiten und an Wochenenden. Wenn das Bundesgerichtsurteil zu einer Schliessung der Permanencen führt, würden diese Patientinnen und Patienten wohl die Notfallstationen der Spitäler aufsuchen und diese zusätzlich belasten. 

Die Notfallstationen der Spitäler sind bereits heute sehr stark ausgelastet. Dem will die Pa.Iv. 17.480 entgegenwirken. Der aktuelle Vorschlag der Gesundheitskommission des Nationalrates (SGK-N) sieht vor, dass der jährliche Höchstbetrag des Selbstbehalts zulasten der versicherten Person bei jeder Notfallkonsultation um 50 Franken erhöht wird, falls die Person ohne Überweisung erschienen ist. In der Vernehmlassung fordert H+, nicht auf die Initiative einzutreten, u. a. mit folgenden Begründungen:

  • Spezialgebühren für einzelne Behandlungen eignen sich nicht für die Steuerung von Patientenströmen.
  • Kaum ein Zuweiser wird eine vom Patienten, der Patientin gewünschte Überweisung auf die Notfallstation verweigern, da er oder sie juristische Konsequenzen fürchten würde.
  • Sozial benachteiligte Menschen könnten auf eine notfallmässige Untersuchung resp. Behandlung verzichten, obwohl diese angezeigt wäre. 

Falls die grosse Kammer Eintreten beschliesst, so ist dem Antrag der Mehrheit der SGK-N zu folgen, jedoch mit dem Zusatz, dass auch Patientinnen und Patienten mit einer auf den Notfalleintritt folgenden stationären Behandlung sowie Bewohnende von Pflege- und Behindertenheimen von der Erhöhung des Höchstbetrags des Selbstbehalts ausgenommen werden.

Martina  Greiter

Martina Greiter

Redaktorin Competence deutsche Schweiz, Fachverantwortliche Kommunikation

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Martina  Greiter

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