H+ Bundeshaus 4/2023

Editorial

Die verstärkte Verlagerung von Spitalbehandlungen in den ambulanten Bereich muss dringend Realität werden. Sie macht aus volkswirtschaftlicher Sicht Sinn, sie macht Sinn aufgrund des Fachkräftemangels und sie ist im Sinne der Patientinnen und Patienten. Heute stehen dem jedoch falsche finanzielle Anreize entgegen. Was es braucht, ist ein neues Finanzierungsmodell und eine neue Tarifstruktur.

Mit EFAS liegt ein zielführender Vorschlag für ein neues Finanzierungsmodell auf dem Tisch des Parlaments. Nach rund vierzehnjähriger Behandlungsdauer muss dieses Geschäft endlich erfolgreich abgeschlossen werden. Erstmals seit langem könnte damit eine Massnahme umgesetzt werden, die effektiv einen Beitrag zur Dämpfung des Kostenanstiegs im Gesundheitswesen leistet.

Auch bei der Schaffung einer neuen Tarifstruktur ist man einen grossen Schritt weitergekommen. Die Spitäler und Kliniken der Schweiz haben sich deutlich für das kohärente Tarifsystem, das ambulante Pauschalen und den Einzelleistungstarif TARDOC verbindet, ausgesprochen. Damit machen die H+ Mitglieder den Weg für das neue ambulante Tarifsystem frei.

Sowohl Bundesrat als auch Parlament haben sich in der Vergangenheit bereits für die Einführung von ambulanten Pauschalen ausgesprochen. Die gleiche Bewertung von gleichen Leistungen ist nicht nur fair und transparent, sie beseitigt auch bestehende Fehlanreize. Im stationären Bereich haben sich die SwissDRG-Fallpauschalen als Erfolgsgeschichte bewährt. Die Anwendung von Pauschalen auch im ambulanten Bereich wird zu eingangs erwähnter Verlagerung der Spitalbehandlungen beitragen. Die Spitäler und Kliniken sind für diesen Weg bereit. Nun liegt der Ball beim Bundesrat.

Regine  Sauter

Regine Sauter

Präsidentin, Nationalrätin

Einheitliche Finanzierung

EFAS mit klaren Eckwerten endlich verabschieden

H+ ruft als Teil einer breiten Allianz das Parlament dazu auf, die wichtige EFAS-Vorlage zum Abschluss zu bringen. Zentral sind dabei eine klare Verbindlichkeit beim Einbezug der Pflege und der Wille, die Reform nicht zu überladen.

Die Einführung einer einheitlichen Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen (EFAS) ist an sich unbestritten und von den Spitälern und Kliniken der Schweiz erwartet. Sie führt zu einer sinnvollen und erwünschten Verlagerung vom stationären in den ambulanten Bereich sowie zur Förderung der integrierten Versorgung. In der bevorstehenden Differenzbereinigung der beiden Kammern geht es nun nochmals um wichtige Eckwerte.

Verbindlicher Einbezug der Pflege
Eine breite Allianz von 22 Akteuren des Gesundheitswesens fordert den Ständerat dazu auf, seiner Gesundheitskommission zu folgen und am Beschluss festzuhalten, Pflegeleistungen vier Jahre nach Inkrafttreten von EFAS fix einzubeziehen. Damit entsteht Rechtssicherheit, und die Schaffung einer entsprechenden Tariforganisation kann zielgerichtet angegangen werden. Voraussetzung für den Einbezug der Pflegeleistungen ist die Transparenz über die OKP-pflichtigen Pflegekosten.

Die vom Nationalrat vorgeschlagene Verknüpfung von EFAS mit der «vollständigen Umsetzung» der Pflegeinitiative erachtet die Allianz jedoch als nicht zielführend. Es besteht weder eine rechtliche noch eine materielle Verbindung zwischen den beiden Themen. Die Aufnahme solcher Anliegen birgt das Potenzial, die Reform zu gefährden. Dies gilt es zu vermeiden.

Effizienzpotenzial der Reform ausschöpfen
Mit EFAS benötigen de facto nur die Versicherer, deren Kerngeschäft die Rechnungskontrolle ist, den Zugang zu Originalrechnungen. Ausserdem ist es aus Datenschutzgründen heikel, sensible Personendaten der Versicherten in nicht anonymisierter Form bei mehreren Instanzen verfügbar zu machen. Die Allianz spricht sich daher gegen die doppelte Rechnungskontrolle bzw. die zusätzliche Kontrolle durch die Kantone aus, die Mehraufwand und unnötige Kosten generieren würde.

H+ und die weiteren Allianzpartner appellieren an das Parlament, diese systemrelevante Reform, die nach 14 Jahren im parlamentarischen Prozess ausgereift ist, nun zügig zum Abschluss zu bringen – wenn möglich in der kommenden Wintersession.

Digitalisierung

EPD-Gesetz: Finanzierung muss geklärt werden

H+ begrüsst die Teilrevision, aber auch die geplante Gesamtrevision des EPD-Gesetzes im Grundsatz. Die Startschwierigkeiten der letzten Jahre müssen jetzt rasch und zielgerichtet überwunden werden. Dabei spielt die Finanzierungsfrage eine zentrale Rolle – gerade auch für die Spitäler und Kliniken.

Bis zum Inkrafttreten der umfassenden Revision des Bundesgesetzes über das elektronische Patientendossier (EPDG) dürften rund fünf Jahre vergehen. Gemäss Vorschlag des Bundesrates soll dieser Zeitraum mittels einer Übergangsfinanzierung für die Stammgemeinschaften überbrückt werden. Es ist angedacht, dass der Bund pro eröffnetes EPD einen Betrag von 30 Franken sprechen kann, falls sich die Kantone in gleichem Umfang beteiligen. Der Zahlungsrahmen beträgt maximal 30 Millionen Franken für maximal fünf Jahre.

Finanzhilfen auch für Spitäler und Kliniken
Aus Sicht von H+ greift die auf Stammgemeinschaften beschränkte Übergangsfinanzierung zu kurz. Beim EPD handelt es sich um ein Infrastruktur-Projekt, an das nicht nur die Stammgemeinschaften einen substanziellen Beitrag leisten, sondern auch die Gesundheitsinstitutionen, namentlich Spitäler und Kliniken.

Die Spitäler haben die obligatorische Anbindung an das EPD aus eigener Kraft gestemmt. Andere Unternehmen müssen ihre IT-Infrastruktur zwar auch mit eigenen Mitteln finanzieren, doch im Unterschied zu Unternehmungen im freien Markt müssen Spitäler ihre finanziellen Ressourcen mit Erträgen aus einer Sozialversicherung erwirtschaften. Dabei erfolgt die Vergütung nicht nach vom Markt bestimmten Preisen, sondern nach – weitgehend eingefrorenen – Tarifen.

Vor diesem Hintergrund kann von den Gesundheitsinstitutionen nicht erwartet werden, dass sie weitere Investitionen ohne finanzielle Unterstützung tätigen, zumal dem bisher geleisteten erheblichen Aufwand kein nennenswerter Nutzen gegenüberstand. Eine Ausweitung der Finanzhilfen von den Stammgemeinschaften auf die Spitäler und Kliniken ist aus diesen Gründen angebracht.

H+ begrüsst es, dass eine Mehrheit der SGK-N Finanzhilfen auch für die Verbesserung der Nutzung bestehender Dossiers und die Integration von Leistungserbringern vorsehen will. Unter diesen Voraussetzungen stehen die Chancen gut, dass das EPD doch noch eine Erfolgsgeschichte wird.

Arzneimittel

Prüfenswerte Stossrichtung

Leider ist die Pa.Iv. 19.508 mit einer Forderung bezüglich der Dosierung und Verpackung von Medikamenten falsch formuliert, und sie vermischt verschiedene Elemente. Die Stossrichtung ist jedoch prüfenswert.

Es besteht eine Rollenteilung zwischen Swissmedic und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG). Swissmedic prüft die Zulassung einer beantragten Indikation auf Sicherheit und Wirksamkeit. Diese Prüfung führt zu einem «Label» einer zugelassenen Indikation. Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit werden vom BAG geprüft und in der Spezialitätenliste (SL) publiziert.

Nun fordert die Pa.Iv. 19.508 eine Änderung der gesetzlichen Grundlagen, sodass Swissmedic Dosierungen und Packungen von Arzneimitteln auch dann auf die SL setzen kann, wenn das Gesuch nicht vom Hersteller stammt. Grundsätzlich ist dieses Anliegen prüfenswert, da insbesondere in der Onkologie, aber auch in anderen Bereichen immer mehr Therapien im Off-Label-Use durchgeführt werden.

Es wäre deshalb aber sowohl im Heilmittelgesetz (für die Funktion von Swissmedic) als auch im Krankenversicherungsgesetz (für die Funktion des BAG) zu prüfen, wie die Akteure des Gesundheitswesens solche Anträge stellen können oder wie alternativ Rechtssicherheit für die Verordnenden geschaffen werden kann, analog der nationalen Datenbank zur Dosierung von Arzneimitteln bei Kindern (SwissPedDose). Solche Listen wären auch für andere Bevölkerungsgruppen wie Schwangere und ältere Menschen dringend notwendig. Zudem wäre zu prüfen, wie die dort aufgeführten Medikamente bzw. Indikationen auf Antrag der Akteure in die SL aufgenommen werden können. Dies im Sinne eines sicheren und nachhaltigen Medikamenteneinsatzes.

Enea Martinelli, Vorstandsmitglied der GSASA

Gesundheitspolitik

Lockerung des Vertragszwangs – einmal mehr aus der Schublade hervorgeholt

Zum Auftakt der neuen Legislatur lässt die Mitte-Partei eine kleine Bombe platzen: sie hat Ende September eine Motion zur Lockerung des Vertragszwangs eingereicht. Der Vorstoss ist bereits in der Wintersession 2023 traktandiert.

Mit einer Motion (23.4088) will die Fraktion der Mitte-Partei den Bundesrat beauftragen, das KVG dahingehend anzupassen, dass der Kontrahierungszwang im ambulanten und stationären Bereich gelockert wird. Dabei sollen die Versorgungssicherheit sichergestellt und die heutigen Anforderungen an Qualität und Wirtschaftlichkeit erfüllt sein.

Wie häufig seit der Einführung des KVG versucht wurde, die Vertragsfreiheit in irgendeiner Variante einzuführen, hat meines Wissens noch niemand gezählt. Obwohl diese Versuche allesamt gescheitert sind, wird die Vertragsfreiheit regelmässig aus der Antikensammlung der Gesundheitspolitik hervorgeholt.

Politisch betrachtet kann diesem abermaligen Versuch nicht viel abgewonnen werden. Es handelt sich um einen weiteren Versuch, Qualität und Versorgungssicherheit über Mengen- und Kostensteuerung zu garantieren; gewissermassen um das marktwirtschaftliche Kontrastprogramm zur planwirtschaftlichen Zulassungssteuerung.

Was das schweizerische Gesundheitswesen stattdessen dringend benötigt, ist eine Versorgungspolitik, welche Versorgungsziele definiert und davon ausgehend die notwendigen Mittel ableitet. Und nicht umgekehrt.

Kontakt

Martina  Greiter

Martina Greiter

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