H+ Bundeshaus 2/2024

Editorial

von Regine Sauter
Kostendämpfung

Keine unnötigen Experimente

von Anne-Geneviève Bütikofer
Digitale Transformation

DigiSanté wirkungsvoll umsetzen und angemessen finanzieren

von Stefan Berger
Gesundheitliche Vorausplanung

Selbstbestimmung am Lebensende fördern

von Stefan Berger
Psychologische Psychotherapie

Kosten- und Mengenentwicklung im Blick behalten

von Martina Greiter
Teuerung

Tarife an die Teuerung anpassen

von Martina Greiter

Editorial

Die heute geltende Tarifstruktur für ambulante medizinische Leistungen stammt aus den Nuller-Jahren und beruht zum Teil noch auf Daten der späten 90er Jahre. Es ist deshalb nicht übertrieben zu sagen, dass sie hoffnungslos veraltet ist, den technologischen Fortschritt nicht abbildet und keine sachgerechte Vergütung ambulanter Leistungen gewährleistet.

Auch das Parlament hat dies erkannt und den Bundesrat wiederholt aufgefordert, eine neue Struktur zu genehmigen. Mit einer Revision des KVG hat das Parlament zudem auch klar gemacht, dass der heutige Einzelleistungstarif, wo möglich, durch Pauschalen abgelöst werden soll. Pauschalen beheben Fehlanreize, die zu Mengenausweitungen führen, und treiben die Ambulantisierung weiter voran. Ein Prozess, der sowohl aus gesundheitspolitischen als auch finanziellen Gründen Sinn macht. 

Im vergangenen Dezember hat H+ gemeinsam mit santésuisse ein kohärentes Tarifsystem für den ambulanten Bereich beim Bundesrat zur Genehmigung eingereicht. Dieses Modell kombiniert ambulante Pauschalen mit dem überarbeiteten Einzelleistungstarif TARDOC. 

Im stationären Bereich haben sich die SwissDRG-Pauschalen seit Jahren bewährt. Der Grundsatz ist einfach: Bezahlt wird, was tatsächlich geleistet wird – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Damit werden effizient arbeitende Spitäler belohnt und unnötige Behandlungen eingedämmt. Die Grundlage für die Pauschalen bilden Millionen von realen Kosten- und Leistungsdaten, also objektive Kennzahlen.

In der nationalen Organisation Ambulante Arzttarife (OAAT) sind die Vorarbeiten für das neue kohärente Tarifsystem aus Pauschalen und TARDOC erfolgt. Der Bundesrat ist aufgefordert, dieses nun möglichst rasch als Gesamtkonzept zu genehmigen. Weitere Verzögerungen würden bedeuten, dass noch länger mit veralteten Strukturen abgerechnet wird, eine Situation, die weder aus Sicht der Prämienzahlenden noch der Leistungserbringer wünschbar ist.   

Regine  Sauter

Regine Sauter

Präsidentin, Nationalrätin

Kostendämpfung

Keine unnötigen Experimente

Die Massnahmen des zweiten Kostendämpfungspakets sind grundsätzlich sinnvoll, mit Ausnahme der Schaffung überflüssiger «Netzwerke zur koordinierten Versorgung».

In seiner Botschaft zum zweiten Kostendämpfungspaket (22.062) schlägt der Bundesrat unter anderem die Schaffung eines neuen Leistungserbringers «Netzwerke zur koordinierten Versorgung» vor. Damit möchte er die medizinische Versorgung verbessern und das Kostenwachstum in der Grundversicherung bremsen.

Breite Allianz lehnt neuen Leistungserbringer ab
Leistungserbringende, Versicherer, Apotheken, Gesundheitsfachpersonen und Konsumentinnen- und Konsumentenorganisationen sind unisono der Auffassung, dass ein neuer Leistungserbringer nicht geeignet ist, die Koordination der Versorgung zu verbessern, geschweige denn eine kostendämpfende Wirkung zu erzielen. Er würde im Gegenteil Doppelspurigkeiten erzeugen und der Mengenausweitung Tür und Tor öffnen. 

Mit gutem Grund folgte der Nationalrat in der Herbstsession 2023 der Empfehlung der Allianz und strich den neuen Leistungserbringer aus dem Gesetzesentwurf. Es bleibt zu hoffen, dass der Ständerat in der Sommersession nachzieht – entgegen dem Antrag seiner vorberatenden Gesundheitskommission (SGK-S), die sich für die «Netzwerke zur koordinierten Versorgung» ausspricht.

Bewährtes nicht ändern
In einem Brief an die SGK-S vom 19. April 2024 haben die betroffenen Organisationen, darunter H+, ihre gemeinsame Haltung bekräftigt. Die heute existierenden Netzwerke sind eine Erfolgsgeschichte. Die involvierten Akteure leisten die Koordinationsarbeit bereits mit Bravour. Immer mehr Versicherte treten einem Netzwerk bei. Den bewährten «Bottom-up»-Prozess gilt es mit geeigneten Anreizen weiter zu fördern, namentlich mit der konsequenten Umsetzung der KVG-Revision zur einheitlichen Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen (EFAS). Die Einführung eines neuen Akteurs «von oben» hätte dagegen nur administrativen Mehraufwand ohne ersichtlichen Mehrwert für das Gesundheitssystem zur Folge.

Digitale Transformation

DigiSanté wirkungsvoll umsetzen und angemessen finanzieren

Die Schweiz hat ein hervorragendes Gesundheitssystem, das aber mangels zeitgemässer Digitalisierung an seine Grenzen stösst. Das Bundesprogramm DigiSanté soll nun Abhilfe leisten. 

Mit einem Verpflichtungskredit von rund 400 Millionen Franken für das Programm «DigiSanté» (23.076) sollen die digitale Transformation im Gesundheitswesen gefördert und der internationale Rückstand der Schweiz aufgeholt werden. Der Nationalrat hat dem Kredit in der Frühjahrssession zugestimmt. Nun ist der Ständerat am Zug.

Verbindliche Vorgaben für alle Akteure
Mit der Definition von standardisierten Datenstrukturen und -inhalten will DigiSanté die Voraussetzung für ein nahtloses Zusammenwirken der bestehenden Informationssysteme in Spitälern und Arztpraxen schaffen. Damit DigiSanté einen echten Nutzen stiftet, müssen diese Standards von allen Akteuren mit verbindlichen Vorgaben durchgesetzt werden.

Das Projekt SpiGes im Bereich der spitalstationären Gesundheitsversorgung kann dabei als Vorbild dienen. Denn dank der konsequenten Anwendung des Once-Only-Prinzips schafft SpiGes rasch einen Nutzen für alle Beteiligten, ohne unnötigen Mehraufwand zu generieren. 

Finanzierung nicht gesichert 
DigiSanté löst aber auch unabsehbare Folgekosten für die Leistungserbringer aus, die bisher nicht einmal ansatzweise berücksichtigt wurden. Aufgrund fehlender Finanzierung kann immer weniger in die Digitalisierung investiert werden, zumal dies in den Tarifen nicht abgedeckt ist. In dieser Hinsicht ist der vorliegende Verpflichtungskredit viel zu tief angesetzt. Die Finanzierung der einzelnen Projekte muss im Voraus geregelt werden. Sonst droht auch dieses vielversprechende Programm zu scheitern.

Stefan  Berger

Stefan Berger

Fachverantwortlicher Gesundheitspolitik

Gesundheitliche Vorausplanung

Selbstbestimmung am Lebensende fördern

Die Kosten der ärztlichen Beratungen im Zusammenhang mit einer Patientenverfügung sollen von der obligatorischen Krankenversicherung (OKP) übernommen werden. Dies verlangt die parlamentarische Initiative 22.420.

Die Patientenverfügung ist ein zentraler Bestandteil der gesundheitlichen Vorausplanung. In ihr wird festgelegt, welchen medizinischen Massnahmen eine Person im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht. Sie ist für den Arzt rechtsverbindlich und insofern ein Instrument der Selbstbestimmung der Patientin bzw. des Patienten.

Bereits heute führen viele Arztpersonen mit ihren Patientinnen und Patienten vorausschauend Beratungsgespräche. Diese werden über eine normale Sprechstunde abgerechnet. Wünscht eine Person aber einen Termin eigens zur Beratung einer Patientenverfügung, darf die Arztperson dies nicht via OKP abrechnen.

Gesundheitliche Vorausplanung hilft Kosten sparen
Zu einer qualitativ hochstehenden gesundheitlichen Vorausplanung gehört, dass auch diese wichtige medizinische Leistung vergütet wird. Damit lassen sich auch Kosten einsparen, da durch unklare Formulierungen hervorgerufene Dilemmata vermieden werden können. Aus Sicht von H+ ist der parlamentarischen Initiative 22.420 daher Folge zu geben, wie das auch die vorberatende Gesundheitskommission (SGK-N) beantragt.

Stefan  Berger

Stefan Berger

Fachverantwortlicher Gesundheitspolitik

Psychologische Psychotherapie

Kosten- und Mengenentwicklung im Blick behalten

Mit einer Motion soll der Bundesrat beauftragt werden, nach Einführung des Anordnungsmodells in der psychologischen Psychotherapie ein halbjährliches Monitoring zur Kosten- und Mengenentwicklung zu erstellen. H+ lehnt die Motion ab. 

Am 1. Juli 2022 trat in der psychologischen Psychotherapie das Anordnungsmodell in Kraft, welches das bisherige Delegationsmodell ablöste. Seither können psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten selbständig und auf eigene Rechnung zulasten der OKP abrechnen.

Wie stark sich diese neue Praxis auf die Kosten- und Mengenentwicklung auswirkt, soll der Bundesrat mit einem Monitoring ermitteln, das er gemäss der Motion 23.4153 halbjährlich veröffentlicht. Denn nach wie vor fehlt laut Motionär Erich Ettlin ein offizieller Überblick über die Auswirkungen des Anordnungsmodells.

Die Daten des ersten Monitorings sind vom BAG bereits publiziert worden.

Jährliches Monitoring ist angemessen
H+ lehnt die Motion ab, weil ein Monitoring zur Kosten- und Mengenentwicklung gemäss Artikel 47c KVG grundsätzlich Sache der Tarifpartner ist. Ferner teilt H+ die Ansicht des Bundesrates, dass ein jährliches Monitoring und die entsprechende Evaluation zweckdienlich sind, um aussagekräftige Daten zu erheben. Ein halbjährliches Monitoring würde hingegen keinen relevanten Mehrwert bringen.

Martina  Greiter

Martina Greiter

Redaktorin Competence deutsche Schweiz, Fachverantwortliche Kommunikation

Teuerung

Tarife an die Teuerung anpassen

Um nicht noch mehr in Schieflage zu geraten, brauchen die Leistungserbringer eine Indexierung der Tarife an die Preisentwicklung. Dies fordert Ständerat Damian Müller mit einer Motion. H+ unterstützt diese Forderung. 

«Die Leistungserbringer brauchen eine Anpassung der Tarife an die Teuerung: Eine Revision der gesetzlichen Grundlagen, um die Teuerung in allen Tarif- und Entschädigungssystemen des Gesundheitswesens angemessen zu berücksichtigen, ist dringend nötig, sonst geraten die Spitäler reihenweise noch mehr in Schieflage», begründet Damian Müller seine Motion 24.3081. Der Ständerat will mit seinem Vorstoss den Bundesrat beauftragen, eine Vorlage ausarbeiten, die im KVG eine Indexierung der stationären Tarife an die Preisentwicklung vorsieht.

Teuerung bei der Berechnung der Tarife einbeziehen
Dabei sind die Nachteile des heutigen im KVG verankerten Benchmarkings zu überwinden. Die Tarife, welche gemäss heutiger Praxis für das Jahr t auf Daten aus dem Jahr t-2 festgelegt werden, sollen für die zwei Jahre mit der Teuerung aufgerechnet werden.

So könnten die Tarifpartner die Teuerung indexieren und eine regelmässige Neubewilligung der Tarife wäre nicht erforderlich. Falls sich diese Indexierung bewährt, könnte sie laut Motionär allenfalls auch auf das sich in Überarbeitung befindende ambulante Tarifwerk angewendet werden. 

H+ unterstützt diese Forderung und hat bereits im Herbst 2023 im Rahmen des H+ Positionspapiers zur Finanzierung der Spitäler und Kliniken darauf aufmerksam gemacht, wie wichtig die Anpassungen der Tarife an die Inflation sind.  

Martina  Greiter

Martina Greiter

Redaktorin Competence deutsche Schweiz, Fachverantwortliche Kommunikation

Volksabstimmung

Kostenbremse: Nein zu willkürlichen Rationierungen

Die Kostenbremse-Initiative der Mitte hätte für das Gesundheitswesen und die Gesundheitsversorgung in der Schweiz fatale Folgen. Auch die Spitäler und Kliniken sprechen sich deshalb deutlich für ein Nein zur Vorlage aus.

Am 9. Juni stimmt die Schweizer Stimmbevölkerung über die Kostenbremse-Initiative ab. Die Vorlage hätte für das Gesundheitswesen, die Spitäler und Kliniken und vor allem für die Bevölkerung enorm schädliche Folgen:

Die Kostenbremse koppelt die Gesundheitsausgaben starr an die Wirtschaftsentwicklung. Sie legt also ein Globalbudget unabhängig vom Bedarf an Leistungen fest. Einzig die Konjunktur entscheidet somit darüber, ob im laufenden Jahr medizinisch notwendige Leistungen erbracht werden können oder nicht. Ein Blick zurück zeigt, wie fatal die Folgen dieses starren Mechanismus wären: Wäre die Kostenbremse-Initiative im Jahr 2000 eingeführt worden, wäre heute über ein Drittel der Leistungen der Grundversicherung ohne Versicherungsdeckung.

Zweiklassenmedizin wäre die Folge
Während die Vorgabe der Initiative sehr klar ist, bleibt der Weg dahin absolut unklar. Die Initiative zeigt mit keinem Wort auf, wie die Kosten gesenkt werden können. Sie bringt also keine Lösungen, sondern führt nur dazu, dass gewisse Behandlungen nicht mehr durchgeführt respektive finanziert werden können. Nach welchen Kriterien diese Entscheide gefällt werden, bleibt vollkommen unklar. Klar ist aber die Konsequenz: Längere Wartezeiten für grundversicherte Patientinnen und Patienten.

Für die Spitäler und Kliniken würde die Kostenbremse zudem vor allem eines bedeuten: Noch mehr Bürokratie und somit noch weniger Zeit, welche das Personal bei den Patientinnen und Patienten verbringen kann.

Aus diesen Gründen setzt sich H+ gemeinsam mit allen wichtigen Organisationen und Verbänden aus dem Gesundheitswesen für ein Nein zur schädlichen Kostenbremse ein.

Aurel  Köpfli

Aurel Köpfli

Fachverantwortlicher Kommunikation,
stv. Leiter Geschäftsbereich Kommunikation