COVID-19 bedingte Zusatzkosten und Ertragsausfälle: Definition, Ermittlung, Finanzierung und langfristige Effekte auf Tarifbildung

H+ erarbeitet mit seinen Aktivmitgliedern eine nationale Leitlinie mit Checkliste zur Bewertung und Ermittlung der COVID-19 bedingten Zusatzkosten und Ertragsausfällen. Ziel dabei ist eine möglichst vollständige, transparente und betriebsbezogene Darstellung sicherzustellen. Erste Herausforderung ist es, ein nationales Verständnis herzustellen, was genau unter COVID-19 bedingten Zusatzkosten und Ertragsausfälle zu verstehen ist und wer diese finanziert. Anschliessend sind Möglichkeiten und Grenzen von bekannten Instrumenten der finanziellen Darstellung (REKOLE®, ITAR_K©) aufzuzeigen.

Die Handlungen des Bundesrates bei der Bewältigung der COVID-19 Epidemie verschieben sich nun in Richtung Ausstiegsszenarien aus den restriktiven Massnahmen. Das gibt der Bevölkerung und den Akteuren im Gesundheitswesen Perspektiven. Die finanziellen Auswirkungen für die H+ Mitglieder zeichnen sich jedoch erst ab. Sicher werden in den Spitälern COVID-19 bedingte Zusatzkosten und Ertragsausfälle anfallen. H+ fordert, dass die resultierenden Verluste vollumfänglich abgegolten werden und die Finanzierer darlegen, wer diese übernimmt. In Frage kommen Bund, Kantone und Versicherer.

Von welchen Zusatzkosten und Ertragsausfälle ist die Rede?
Wichtig ist es, fehlende Abgeltung von Behandlungsleistungen mit den geltenden Tarifen von anderen Mehrkosten und den Ertragsausfällen zu unterscheiden. Weil bei den Behandlungen zusätzliche Schutzvorkehrungen oder andere Prozesse nötig geworden sind, um eine ambulante oder stationäre Behandlung sicher durchzuführen, ändern sich die anfallenden Kosten und die Tarifanwendung. Hierfür hat das Bundesamt für Gesundheit Faktenblätter herausgegeben. Leider ist besonders das Faktenblatt zu den ambulanten Leistungen realitätsfremd und die verankerten Regeln verhindern eine kostendeckende Vergütung der Behandlungen. H+ ist dazu mit dem BAG weiter im Gespräch, allerding lassen die Vorzeichen keine Anpassung erwarten.

Die entscheidende Frage für die Betriebe
Für das finanzielle Überleben jedoch entscheidender ist die Frage der Finanzierung der in den Spitälern entstandenen Zusatzkosten und der Ertragsausfälle. H+ ist daran, die von der GDK geäusserten Forderungen einiger Kantone zu prüfen und mit seinen Aktivmitgliedern und kantonalen Spitalverbänden eine nationale Checkliste (inkl. Bewertungsleitlinien) aufzustellen, womit die verschiedenen Arten der Zusatzkosten und Ertragsausfällen identifiziert und quantifiziert werden könnten. Auf diesem Weg versucht H+ ein nationales einheitliches Verständnis zur Definition und Abgrenzung dieser Zusatzkosten und Ertragsausfälle herzuleiten. Erste Rückmeldungen von Experten lassen erahnen, dass die Ermittlungsarbeit zur Erstellung der Checkliste zum grössten Teil auf Schätzungen basieren werden muss.

Die Kostenrechnung REKOLE® und ITAR_K© helfen nur bedingt!
Durch das Behandlungsverbot des Bundesrats und den daraus entstandenen Schliessungen von ganzen Spitalbereichen/-Abteilungen, den vielen Verschiebungen von Personal und dem Einsatz von externem Personal, sind sämtliche Betriebskosten des Kostenstellenplans massiv verändert worden resp. werden die Leistungen nicht mehr mit den Kosten übereinstimmen. Dadurch werden die Kostensätze und die damit verbundenen Leistungsverrechnungen der Kostenrechnung nicht mehr stimmig sein.

H+ prüft derzeit die Sinnhaftigkeit und Möglichkeiten einer ausserordentlichen Weisung in Bezug auf Abbildung der COVID-19-Epidemie in der Kostenrechnung der Spitäler. Dabei ist besorgniserregend, dass dadurch in den Spitälern Arbeiten und zusätzlich zu bindende Ressourcen anfallen würden, die als unverhältnismässig eingestuft werden. Und es besteht keine Garantie, dass die schliesslich zu einem theoretisch wünschbaren Ergebnis führen, nämlich einer lückenlosen Ermittlung der COVID-19 bedingten Zusatzkosten und Ertragsausfällen. Es gibt dafür viel zu viel Unsicherheiten, Interpretationsspielräume und Spitalumfeld-Spezifitäten, denen Rechnung zu tragen wären, um eine lückenlose leistungsbezogene Erfassung sicherstellen zu können.

Die Erwartungshaltung der Gesundheitsakteure wird von Bescheidenheit und Pragmatismus geprägt sein müssen in Bezug auf Vollständigkeit bzw. Genauigkeit der Erfassung der direkten Zusatzkosten und Ertragsausfällen. Sonst wird der Aufwand für die Erfassung unverhältnismässig hoch ausfallen.

H+ begrüsst pragmatische und ressourcenschonende Finanzierungslösungen
H+ fordert die Gesundheitsakteure dazu auf, national in Betracht zu ziehen, dass die Finanzierung der COVID-19 bedingten Zusatzkosten und Ertragsausfällen entlang pragmatischer und ressourcenschonender Lösungen zu erfolgen hat. Zum Beispiel mit einem EBITDA(R)-Margen-Analyse-Modell, das selbstverständlich mit den nötigen Spielregeln für faires Verhalten zu begleiten ist. H+ prüft derartige Modelle und steht diesbezüglich bereits im Gespräch mit der GDK. Es ist aber noch zu früh, um konkrete Lösungen zu präsentieren. Angedacht ist, dass die nationale Checkliste als Informationshilfe dienen könnte, um die zu COVID-19 bedingten Zusatzkosten und Ertragsausfälle möglichst gut zu plausibilisieren.

Blick in die Zukunft: Tarifverhandlung und -Entwicklung
Das Betriebsjahr 2020 soll nicht als Basisjahr für zukünftige tarifliche Kalkulationen in Betracht gezogen werden. Die Kostenrechnungen 2020 der Spitäler werden mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit verzerrt sein und eine kostenbasierte brauchbare Tarifbildung verunmöglichen. Dies gilt sowohl für die Ermittlung der spitalbezogenen sozialversicherungsrelevanten ambulanten und stationären Tarife (ITAR_K V11.0 Betriebsdaten 2020) als auch für die Erhebung für die der SwissDRG AG zu übermittelnden Falldaten im Erhebungsjahr 2021 (Betriebsdaten 2020) zwecks Weiterentwicklung der Tarifstrukturen SwissDRG, TARPSY und ST Reha.

H+ begrüsst es, wenn rechtzeitig in den dafür vorgesehenen Gremien diese beiden wichtigen Punkte diskutiert werden und dabei ressourcenschonenden Lösungen den Vorrang gegeben wird, zum Beispiel indem ganz einfach das Betriebsjahr 2019 für ein weiteres Abrechnungsjahr herangezogen wird. Das wäre wahrscheinlich klüger und effizienter als dass sich die Gesundheitsakteure im Jahr 2021 mit scheingenauen, durch «Kalkulationskapriolen und Korrekturmassnahmen» nutzbar gemachten Kostenrechnungsdaten 2020 beschäftigen.