Tarifierung ambulante Medizin: Historie, Stand der Arbeiten und weitere Schritte

Im Bereich der ambulanten Medizin ist in den vergangenen Jahren viel passiert. Der kleine geschichtliche Abriss soll die Ereignisse einordnen und einen aktuellen Überblick zum Stand der Arbeiten der ambulanten Pauschalen geben. Zudem zeigen wir auf, wie es in den kommenden Monaten weitergeht.

Die Tarifsituation im ambulanten Bereich ist seit Jahren blockiert. Seit Einführung des TARMED im Jahr 2004 ist die ambulante Tarifstruktur praktisch kaum mehr revidiert worden. Heute sind viele ambulante Leistungen mit TARMED für die Spitäler nicht kostendeckend. Aus diesem Grund trieb H+ zwischen 2011 und 2016 eine komplette Revision des ambulanten Tarifs voran und überführte die Ergebnisse in die 2016 zusammen mit den Partnern curafutura, FMH und MTK gegründete Tariforganisation ats-tms AG. Die Revision ging im Rahmen dieser neugeschaffenen Tariforganisation weiter. Eine gemeinsame Basis zu finden, gestaltete sich im Laufe der Zeit als zunehmend schwierig, vor allem, was die Interessen der Spitäler und Kliniken betrifft. Aus diesem Grund entschied der H+ Vorstand im September 2018, aus der ats-tms AG auszutreten und forderte gleichzeitig zur Beendigung der Blockade eine nationale ambulante Tariforganisation. Curafutura, FMH und MTK führten das Revisionsprojekt daraufhin allein unter dem Namen TARDOC weiter und reichten im Juli 2019 dem Bundesrat eine erste Version ein.

H+ Vorstand stellt Anfang 2020 die Weichen für ambulante Pauschalen
Der Geschäftsbereich Betriebswirtschaft erarbeitete im Auftrag des Vorstandes 2019 die Grundlagen der ambulanten Pauschalen. Ziel war es, die Rahmenbedingungen für ambulante Pauschalen zu definieren und zu eruieren, inwiefern die Branchenlösung REKOLE angepasst werden müsste. Dazu nahm eine Projektgruppe aus der Praxis eine vertiefte Analyse vor und legte den Schlussbericht im Februar 2020 dem H+ Vorstand vor. Dieser kam zum Schluss, dass das SwissDRG PAM-Modell am geeignetsten für die Zukunft ist.

Ende 2019 forderte das BAG H+ auf, innerhalb rund drei Monaten Stellung zur TARDOC-Version 1.0 zu nehmen. H+ reichte die Stellungnahme im April 2020 dem BAG ein und bemängelte darin vor allem die nicht sachgerechten Limitationen, die nicht leistungsgerechte Tarifierung der Kindermedizin sowie die fehlende strategische Einbindung von Pauschalen für die ambulante Medizin. Weiter unterstrich H+ die Notwendigkeit einer nationalen ambulanten Tariforganisation, wie diese auch im Rahmen der Kostendämpfungsmassnahmen vorgeschlagen wurde.

Erste Gespräche mit santésuisse im Sommer 2020
Im Sommer 2020 fanden erste Sondierungsgespräche zwischen H+ und santésuisse statt, um die Idee der ambulanten Pauschalen gemeinsam weiterzuentwickeln. In einem ersten Schritt ging es um einen Ideenaustausch auf technischer Ebene, bis Mitte September wurde ein gemeinsamer Projektauftrag erarbeitet und unterschrieben. Der Projektfokus lag auf der zeitnahen Erarbeitung eines Tarifierungsvorschlags für diejenigen ambulanten medizinischen Leistungen, welche heute über TARMED 1.09 und TARMED 1.08_BR abgerechnet werden. Denn die Analysen von santésuisse und H+ zeigten, dass rund drei Viertel des ambulanten Leistungsvolumens (CHF) der Spitäler und Kliniken pauschaliert werden kann. Dies entspricht rund 50 Prozent der ambulanten Patientenkontakte. Das nicht pauschalierbare Viertel sollte mit möglichst wenigen Einzel- und/oder Zeitleistungen abgebildet werden. Der H+ Vorstand war über dieses Vorgehen und die weiteren Schritte informiert.

Wie im Projektplan vorgesehen, fanden im Winter 2020 bei einzelnen H+ Mitgliedern erste Datenerhebungen statt, welche im Frühling 2021 ausgewertet wurden. Basierend auf den Erfahrungen daraus, wurde im ersten Quartal 2021 die Erhebung von Kosten- und Leistungsdaten bei den Spitälern und Kliniken konzipiert und gestartet. Erfreulicherweise unterzeichneten über 40 Spitäler und Kliniken den Datenlieferungsvertrag freiwillig und setzten damit ein starkes Zeichen für die Entwicklung der ambulanten Pauschalen.

Parlament schafft die gesetzlichen Grundlagen für ambulante Pauschalen
Parallel zum Projekt ambulante Pauschalen beriet das Parlament über die gesetzlichen Grundlagen der ambulanten Pauschalen im Rahmen des ersten Massnahmenpakets zur Kostendämpfung des Bundes. Am 9. Juni 2021 stimmte der Nationalrat dem Gesetz mit 183:0 Stimmen zu und räumte damit die letzten Differenzen aus. In der Schlussabstimmung am 18. Juni 2021 stimmte das Parlament dem Gesetz ebenfalls zu, ebenso in der Sommersession einer nationalen ambulanten Tariforganisation.

Diese grosse Zustimmung des Parlaments für ambulante Pauschalen war nur dank eines intensiven Lobbyings von H+ und santésuisse möglich.

Letter of Intent: Grundlage, die Tarifprojekte zu koordinieren
Als Ergebnis von verschiedenen Gesprächen beschlossen die Tarifpartner, zusammenzuarbeiten und ein gemeinsames Verständnis zu den ambulanten Tarifen zu etablieren. Dies mit dem Ziel, eine gute Ausgangslage für die nationale Tariforganisation für den ambulanten ärztlichen Bereich zu schaffen. Die Details wurden in einem vom Bundesrat geforderten «Letter of intent» geregelt.

Im Jahr 2021 analysierte das Tarif-Team der H+ Geschäftsstelle den TARDOC und kam zu einem ähnlichen Schluss wie das BAG: am TARDOC müssen substanziellen Verbesserungen vorgenommen werden. Das BAG präzisierte diese in seinem Prüfbericht, welcher leider nicht öffentlich ist.

Tarifprojekt ambulante Pauschalen nahm 2021 an Fahrt auf
Basierend auf den Kosten- und Leistungsdaten von rund 30 Spitälern und Kliniken entwickelte H+ zusammen mit santésuisse den ersten Katalog von ambulanten Pauschalen. Dieser wurde im Oktober 2021 anlässlich einer Systempräsentation vorgestellt, darunter auch vielen Vertretern aus Spitälern und Kliniken. Nach der Kurzvernehmlassung der ersten Version 0.1 im November 2021, zeigte sich, dass das Pauschalen-System noch Verbesserungspotenzial hat, aber auch, dass die Mitglieder in die Weiterentwicklung enger eingebunden werden wollen. Aus diesem Grund hat H+ zusammen mit der Tariforganisation solutions tarifaires suisses AG für das zweite Quartal 2022 Workshops mit den Leistungserbringern und Versicherern geplant. Basis für diese Workshops bilden die Version 0.2 des Systems der ambulanten Pauschalen, welche im Dezember 2021 dem Bundesrat zur Vorprüfung eingereicht wurde und in die bereits Inputs aus der Kurzvernehmlassung implementiert werden konnten. Wie im eFlash 03/2022 kommuniziert, wurden der Simulationsgrouper sowie die Unterlagen des Prüfungsgesuchs vom Dezember 2021 auf der Website der solutions tarifaires suisses AG publiziert.

Gemeinsam die Tarifstruktur weiterentwickeln
In den kommenden Monaten bis September 2022 werden die Tarifpartner der solutions tarifaires suisses AG die zur Vorprüfung eingereichte Version weiter verfeinern. Dazu werden Workshops mit Vertretern der Spitäler, der Ärzteschaft und der Kostenträger durchgeführt. Die Workshop-Teilnehmenden tragen mit ihrer medizinischen und tarifarischen Erfahrung wesentlich zur anvisierten Qualität der Einführungsversion des Tarifs bei. Die Tarifstruktur wird als ein lernendes und damit dynamisches System ausgestaltet und das neue ambulante Tarifsystem soll insbesondere die ressourcenintensiven Leistungssettings abdecken.

Ziele und nächste Meilensteine
H+ ist sich der Unsicherheiten bei den Mitgliedern bewusst. Insbesondere, da im Moment unklar ist, wie der Bundesrat betreffend TARDOC entscheidet und wie die verfeinerte Version der ambulanten Pauschalen ausgestaltet sein wird. Für H+ ist zentral, die Mitglieder in die Weiterentwicklung enger einzubinden und ihnen genügend Zeit für eine Überprüfung der Tarifstruktur einzuräumen.

Weiter kommt für H+ nur eine parallele Einführung der Pauschalen mit einem Einzelleistungstarif in Frage. Dies hat der Verband wiederholt gegenüber den Tarifpartnern, dem BAG und dem Bund betont. Aus diesem Grund hat sich H+ stark für eine Konsensfindung bei der nationalen Tariforganisation im ambulanten Bereich eingesetzt. Die Zeichen stehen gut, dass dies gelingt und die nationale Organisation gegründet werden kann.

Am Ziel, eine weiterentwickelte Version der ambulanten Pauschalen dem Bundesrat bis Ende 2022 zur Genehmigung einzureichen, hält H+ fest. Doch vor dieser Einreichung möchten wir den Mitgliedern ausreichend Zeit einräumen, die Pauschalen sowie den TARDOC zu prüfen und im Rahmen einer Urabstimmung sich dazu zu äussern. Diese wird zwischen Anfang September 2022 und Mitte Oktober 2022 stattfinden. Betreffend TARDOC steht H+ mit der ats-tms AG im Austausch, damit einer parallelen Einführung der Tarifstrukturen nichts im Wege steht.

Kontakt

Anne-Geneviève  Bütikofer

Anne-Geneviève Bütikofer

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