Operationalisierung der WZW-Kriterien

Der lang ersehnte Bericht über die Operationalisierung der WZW-Kriterien ist endlich erschienen. Die WZW-Kriterien sind ein Dreh- und Angelpunkt des Krankenversicherungsgesetzes (KVG). Entsprechend gross sind die Erwartungen an eine Gebrauchsanweisung zu diesen Kriterien. Ob der veröffentlichte Bericht diese Erwartungen zu erfüllen vermag, ist jedoch fraglich. Viele Fragen bleiben offen.

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat am 31. März 2022 ein Grundlagendokument über die Operationalisierung der WZW-Kriterien als Verwaltungsverordnung veröffentlicht. Das Dokument ersetzt die Version 2.0 aus dem Jahr 2011 und tritt am 1. September 2022 in Kraft.

Die WZW-Kriterien sind ein Dreh- und Angelpunkt des Krankenversicherungsgesetzes (KVG); vgl. Andreas Faller (2020). Das KVG nennt in Artikel 32 die Begriffe der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit als Voraussetzung für die Kostenübernahme der Leistungen durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung. Diese WZW-Kriterien sind einerseits für die Bestimmung und Überprüfung von Leistungen der Krankenversicherung (Art. 32 und 33 KVG), anderseits für den Einsatz der Mittel im Einzelfall (Art. 56 KVG) massgebend. Damit diese Kriterien von allen gleich angewandt werden, müssen sie konkretisiert bzw. operationalisiert werden. Der Bundesrat beauftragte am 1. Juli 2009 das Eidg. Departement des Innern, nähere Vorschriften über die WZW-Kriterien zu erlassen (Art. 70 KVV). Dies ist nun, 13 Jahre später, erfolgt.

Verbesserungen, aber offene Fragen bleiben
Das Grundlagendokument weist gegenüber der Vorgängerversion gewisse Verbesserungen auf. So wurde die Wirksamkeitsdefinition an die Rechtsprechung und an wissenschaftliche Grundlagen angepasst. Die Definition der Zweckmässigkeit wurde nicht weiter präzisiert, aber mit rechtlichen, ethischen und gesellschaftlichen Aspekten erweitert. Welche praktischen Konsequenzen sich aus den empfohlenen Fragen zu den ethischen Aspekten ergeben sollen, wird allerdings nirgends ausgeführt bzw. operationalisiert.

Ebenso bleibt offen, wie volkswirtschaftliche Auswirkungen, die in der «Betrachtung der Zweckmässigkeit einbezogen werden können», bemessen werden sollen. Besonders enttäuschend fallen die Ausführungen zum Wirtschaftlichkeitskriterium aus. Bei den entscheidenden Punkten wird meist auf spätere Dokumente verwiesen. So sollen Grundsätze zur Bemessung von Tarifen in anderen leistungsspezifischen Dokumenten beschrieben werden. Da neue, sehr teure Leistungen an die Grenzen der Finanzierbarkeit führen, sind Vertiefungen und Konkretisierungen im Umgang mit gesundheitsökonomischen Modellen vorgesehen. Weiter befindet sich der konkretisierte Umgang mit Methoden zur Wirtschaftlichkeitsbeurteilung in Erarbeitung und soll zu einem späteren Zeitpunkt ergänzt werden. Ebenso sollen nähere Vorgaben zur Darlegung von Kostenwirkungen von neuen Leistungen (im Bericht durchgehend als «Technologien» bezeichnet) in Prozessen und Dokumenten zu spezifischen Leistungen definiert werden. Alsdann werden auch die Gremien, welche auf eine Operationalisierung der WZW-Kriterien angewiesen sind, etwa die ELGK, auf später vertröstet: Zur Vereinheitlichung der Bewertung der Erfüllung der WZW-Kriterien sollen weitergehende Vertiefungsarbeiten durchgeführt werden. Schliesslich schweigt sich der Bericht zum Einsatz der WZW-Kriterien für den Einsatz der Mittel im Einzelfall (Art. 56 KVG) gänzlich aus. Hier soll wohl jeder einzelne Leistungserbringer auf sich selbst gestellt bleiben.

Grundlagendokument erfüllt die Erwartungen nicht
Im Ergebnis muss festgestellt werden, dass das veröffentlichte Grundlagendokument über die Operationalisierung der WZW-Kriterien den Erwartungen nicht gerecht wird. Entscheidende Fragen werden offengelassen oder auf später verschoben. Die WZW-Kriterien sind und bleiben der Dreh- und Angelpunkt des KVG. Mit einer konsequenten, flächendeckenden Anwendung dieser Kriterien würden viele aktuell diskutierte Massnahmen zur Kostendämpfung und zur Qualitätsverbesserung schlagartig obsolet werden. Bevor sich die Schweiz anschickt, einen Systemwechsel im Gesundheitswesen vorzunehmen, wie das zurzeit in Bundesbern beraten wird, sollten zuerst die naheliegenden Hausaufgaben angepackt und zu Ende geführt werden. Erst dann wird seriös beurteilt werden können, ob weitere Massnahmen überhaupt nötig sind.

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