Wegweisendes TARMED-Urteil: Recht geht vor Politik

Der vom Bundesrat verordnete erste Eingriff in die Tarifstruktur TARMED «missachtete das Gebot der Sachgerechtigkeit und der betriebswirtschaftlichen Bemessung», stellt das Kantonsgericht Luzern in erster Instanz fest. Die «politisch» begründete Anpassungsverordnung erweise sich deshalb als «gesetzeswidrig».

H+ begrüsst das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, da das Gericht dem Bundesrat bzw. BAG die Regeln für subsidiäre Tarifeingriffe aufzeigt und damit Recht vor Politik gilt. Das Gericht begründet diese Aussage vor allem damit, dass der Tarifeingriff des Bundes im 2014 rein politisch motiviert war, damit die Volksinitiative «Ja zur Hausarztmedizin» zurückgezogen werden sollte, und dass es für den Tarifeingriff keine betriebswirtschaftliche Bemessung gegeben hatte.
Vor dem Hintergrund des zweiten Tarifeingriffs des Bundes in den TARMED, der bis zum 21. Juni 2017 in der Vernehmlassung ist, ist das Luzerner Urteil nach Ansicht von H+ in dreierlei Hinsicht bedeutend:

  • Das Kantonsgericht Luzern bestätigt mit dem Urteil, dass auch ein bundesrätlicher Tarifeingriff dem Gebot der Sachgerechtigkeit entsprechen muss (Art. 43 Abs. 4. und Abs. 5bis KVG).
  • Eine rein politische Motivation reicht nicht aus. Ziel der bundesrätlichen Kompetenz ist es, den Tarif sachgerechter zu machen. Dafür braucht es betriebswirtschaftliche Berechnungen.
  • Der zweite Tarifeingriff des Bundesrates, der auf 1. Januar 2018 zum Tragen kommen soll, widerspricht auch dem Gebot der Sachgerechtigkeit und ist nicht durch Daten der Leistungserbringer untermauert.


Entscheid kann beim Bundesgericht angefochten werden
Das Urteil des Luzerner Schiedsgerichtes vom 29. Mai 2017 kann bis Ende Juni 2017 beim Bundesgericht angefochten werden. Der Entscheid des Schiedsgerichtes hat nur für die klagende Klinik aus Luzern unmittelbare Geltung. Ein höchstrichterlicher Entscheid des Bundesgerichts hätte aber eine starke Präjudizwirkung für alle betroffenen Leistungserbringer.

Potenzial von 350 Millionen Franken Rückforderungen

Sollte das Urteil dereinst vom Bundesgericht bestätigt werden, so würde sich die Frage stellen, wie die Spitäler und Kliniken die durch die widerrechtliche Verordnung entgangenen Vergütungen gegenüber den Versicherern für alle bis zum 31. Dezember 2016 gemäss TARMED 1.08_BR erbachten Leistungen einfordern können. Auf Basis seines Datenpools geht H+ dabei von einem jährlichen Betrag von CHF 150 Mio. aus, der den Spitälern und Kliniken aufgrund der Tarifsenkung seit Oktober 2014 entgangen ist. Gesamthaft sind dies Kosten von CHF 350 Mio. vom 1. Oktober 2014 bis 31. Dezember 2016.
H+ ist bereit, zusammen mit dem Bund und den Tarifpartnern einen vertragslosen Zustand ab 1. Januar 2018 zu vermeiden und Rechtssicherheit zu schaffen. Nach Ansicht von H+ verfügt der Bundesrat bereits über eine betriebswirtschaftlich hergeleitete neue Tarifstruktur, welche H+ im November 2016 zur Festsetzung eingereicht hat.
Allenfalls könnte die letzte vom Bundesrat genehmigte TARMED-Version 1.08 ab Anfang 2018 wieder angewendet werden, bis das letztinstanzliche Urteil über den ersten Tarifeingriff vorliegt und sich die Tarifpartner auf eine gesetzeskonforme neue Struktur oder Anpassung einigen können.

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